Blindenstock, Brailleschrift und Schnalztechnik – Einblicke in die Welt der Sehbehinderten

„Kann sich jemand vorstellen, wie es ist, nur noch 2% Sehkraft zu haben?“, fragt Bernt von Lueder in die Runde. 25 Augenpaare sehen ihn neugierig an und schütteln dann den Kopf oder runzeln grübelnd die Stirn. „Dann setzt mal diese Brille auf, damit könnt ihr es erfahren.“ Reihum schauen die Kinder der 5b durch trübe dunkle Gläser. „Da erkennt man ja gar nichts“, murmelt ein Junge. „Das sind ja nur Schatten und Schemen“, stellt die Nachbarin fest. Durch eigenes Erleben führt der Blinde sein Publikum an das Thema heran.

Nächste Frage: „Wie kann man sich im Raum bewegen, wenn man keinen Blindenstock nutzen möchte?“ Bernt von Lueder führt die Schnalztechnik vor. Die Klasse ist mucksmäuschenstill, weil es sonst nicht funktionieren würde. Schnell haben die Kinder das Prinzip verstanden. „Das hat mit Schall zu tun, das ist wie bei den Fledermäusen“, stellt Tim fest.

Wenn man Hilfe hat, ist es natürlich auch möglich sich führen zu lassen. Aber wie macht man das am effektivsten? Bettina Albrod, die Redakteurin der Lübecker Nachrichten, die einen Artikel schreiben will, versucht es als erstes – und muss sich sehr anstrengen. „Das geht einfacher“, beruhigt der Blinde. Verschiedene Kinder versuchen es – am Ende zeigen Anna und Merle aus der 7. Klasse, wie es genau geht. Sie sind zu Besuch in der 5b. In ihrer Klasse war der Blinde vor einiger Zeit auch. Sie haben seitdem Kontakt zu ihm gehalten und wollten ihn gerne in der 5b wiedersehen. Sie wissen längst, wie man den Arm berühren und auch als eine Art Pinne verwenden kann.

Bernt von Lueder geht auf ein Mädchen zu, berührt es am Arm und sagt: „Du lächelst gerade so nett.“ Großes Erstaunen. Es stimmt, Niloefar hat gelächelt – aber woher weiß er es? „Man atmet anders“, erklärt Anna. Die Meldungen kann Bernt von Lueder ja nicht sehen – dafür ist sein Assistent Andreas zuständig. Er sieht die erhobenen Finger und nimmt dran.

Dann erzählt der 84jährige den Kindern eine Geschichte von einem Drachen am Meer, während diese sich die Augen zuhalten. „Es entsteht ein Bild vor dem inneren Auge, man muss gar nichts sehen“, erkennt Lana. „Eben; wenn man schon gesehen hat, hat man Farben und Formen immer abgespeichert und kann sie abrufen. Wenn man allerdings blind geboren ist, klappt das nicht“, lernen sie.

Zum Glück hat Bernt von Lueder in jüngeren Jahren besser gesehen und deshalb nach grauem und grünem Star eine Vorstellung von der Welt. Überhaupt betrachtet er sich nicht als sonderlich benachteiligt. „Ich  habe ja Methoden entwickelt mich zu orientieren“, sagt er lächelnd. Zum Lesen nutze er die Braille-Schrift. Mails lese ihm eine Computerstimme vor. „Zum Glück gibt es mittlerweile ja auch Sprachnachrichten“, sagt er. Das wäre noch ein Stück weit lebensechtere Kommunikation. Die Zeit zeigt ihm eine sprechende Tastuhr. Sogar in einem Chor singt er.

Manchmal hat es sogar fast den Anschein, als könne er sehen. Vor den staunenden Augen der Klasse zeichnet er den Aufbau eines Auges an das Whiteboard. Er könne sogar Tischtennis spielen, behauptet Bernt von Lueder. Leider kann er es nicht vorführen, weil keine Schläger vor Ort sind. „Ach, dann kommen Sie noch mal wieder und zeigen es dann“, schlägt Leni vor. „Ohja, wir haben schon viel kennengelernt, über das man sonst nicht so nachdenkt“, sagt Pia. „Aber da gibt sicher noch viel mehr.“

Zum Abschluss dieses Besuches versucht sich die 5b noch am Blindenstock. Die Jungen und Mädchen lassen sich die Augen verbinden und folgen auf dem Schulhof einem Klatschgeräusch. Kinder, die sich in den Weg stellen, werden umschifft.

„Bis zum nächsten Mal“, rufen sie alle, als sich Bernt von Lueder verabschiedet. „Es hat mir viel Spaß mit euch gemacht“, ruft er. „Ihr ward sehr aufmerksam und rücksichtsvoll.“

Text und Bilder: Heike Blenk


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