Der neue Kollege hat Fell und eine kalte Schnauze

Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine normale Schulstunde. Man sieht Schüler an Tischen sitzen, sie stecken ihre Nasen in ihre Englischbücher und brüten über Übungen zum Present progressive. Manche flüstern leise miteinander. Aber dann fällt der Blick auf einen Trinknapf. Hundeleckerli im Regal und eine Liste überschrieben mit Hundedienst. Und dann entdeckt man ihn. JoeJoe. Einen goldfarbenen Labrador, der ausgestreckt auf einer Decke unter dem Activboard liegt. Entspannt hört er den Kinderstimmen zu. Er macht seinen Job, rührt sich nicht, bis er gebraucht wird.

Als eine Schülerin nach vorne geht, um ihre Ergebnisse vorzutragen, erhebt er sich und macht ihr Platz. Sie kann sich neben den Hund auf die Decke setzen, er schmiegt sich beruhigend an sie, als sie einmal stockt und nicht weiter weiß. Genauso macht JoeJoe es bei einem Klassenkameraden. Als Team nehmen sie am Englischunterricht teil.

Als es zum Stundenende klingelt wirft die Lehrerin Ingke Anders einen Blick auf die Liste mit den Hundediensten. „Wer ist denn heute dran mit der Hunderunde?“ „Ich!“ „Ich auch!“ Sofort sind einige Kinder zur Stelle, greifen sich begeistert die Leine und gehen mit „ihrem“ Hund Gassi, anstatt sich in der Cafeteria ein Brötchen zu kaufen oder mit Freunden in die Mensa zu gehen.

JoeJoe ist 4 Jahre alt und seit einigen Monaten offiziell der Schulbegleithund am EvB. Hinter ihm liegen unzählige Stunden in der Welpenschule, Junge Hunde Schule und Hundeschule. Seine Besitzerin Ingke Anders hat zusätzlich jede Menge Sozialisierungsarbeit mit ihm betrieben. Sie hat trainiert mit ihm in dunklen Gängen und auf glatten Böden und offenen Treppen in der Schule, nachmittags ohne quirliges Pausenleben, aber auch inmitten vieler lachender und lärmender Schüler. Die beiden haben Seminare zur hundgestützten Päadagogik durchlaufen. Die Begleithundeprüfung hat JoeJoe dann im Frühjahr 2019 mit Bravour bestanden, ebenso seine Charakterprüfung. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung, die ihm attestiert, dass er frei von  Krankheiten ist, stellt der Tierarzt alle vier Monate neu aus. Die Schule hat den Hund in ihren Hygieneplan aufgenommen, es gibt eine extra instruierte Putzkolonne und sogar einen Luftreiniger in dem Raum, in dem sich JoeJoe aufhält.

„JoeJoe zu einem Schulbegleithund zu machen, das hat schon wirklich enorm viel meiner privaten Zeit beansprucht“, resumiert Ingke Anders. Von der Züchterin weiß sie, dass deshalb auch viele, die anfangs begeistert sind von der Idee, wieder aufgeben. Nicht aber die engagierte Englisch- und Sportlehrerin. „Es berührt und überzeugt mich einfach immer wieder, was JoeJoe bei Kindern auslöst. Er spürt, wer gerade traurig ist und Trost braucht und geht dann genau zu diesem Kind, lehnt sich gegen dessen Bein. Der Wirkung dieser Berührung kann sich niemand entziehen, sie beruhigt.“ „Jeder, der eine Weile mit dem Labrador in Berührung ist, wird automatisch ruhig. Streithähne vergessen ihren Zwist. Selbst gestandene Oberstufenschüler oder auch Lehrer sprechen plötzlich mit ganz weicher Stimme zu dem Hund. Der ist einfach ein Door opener, hilft beim Zulassen von Emotionen. Hunde agieren auf der analogen, empathischen Ebene.“

Die biologische Erklärung für all das: Eigentlich wird die Oxytocin-Ausschüttung in der Pubertät abgebaut – aber durch die Bindung zum Hund wieder angeregt. Der Hund wirkt blutdrucksenkend, antidepressiv, angstlösend und entspannend. Auch würden Kinder, die zu Hause keins haben könnten, den Umgang mit einem Haustier lernen. Mit großer Freunde und Verlässlichkeit gehen die Schüler mit JoeJoe Gassi, füttern ihn, striegeln sein Fell. Disziplin, Selbstkontrolle und Selbstwirksamkeit werden geübt.

Und auch das Lernen klappt besser, finden die Kinder. „Durch den Hund ist es ruhiger im Klassenzimmer.“ „Man kann sich besser konzentrieren.“ „Man wird einfach fröhlich, wenn man ihn sieht.“ „Man freut sich auf den Unterricht.“ „Wir haben mehr Spaß beim Lernen des Present progressive." „What is JoeJoe doing?“, das beantwortet sich doch flüssiger, als wenn man über den imaginierten Briefträger im Textbuch reden soll. In einer Studie (Bergler&Hoff 2004) wurde ein „Ermutigungseffekt“ nachgewiesen, ebenso wie die Steigerung des Selbstwertgefühls und des Selbstvertrauens.

Zusätzlich gibt es am EvB offizielle Hundepausen, fächerübergreifende Projekte mit dem Fach Biologie und ein Projekt „Rund um den Hund“, zusammen mit der Hundeschule, Hunderettungsstaffel und dem Tierheim.

Über 1000 Schulbegleithunde sind mittlerweile an Schulen im Bundesgebiet im Einsatz. Hundgestützte Pädagogik hält Einzug in alle Schulformen.

Die eigenen Kinder von Ingke Anders allerdings, alle auf anderen Schulen, müssen Abstriche machen bei ihrem Hund. „Wenn er nach einem Schultag nach Hause kommt, dann hat er erst mal keine Lust mehr zu spielen oder auf Streicheleinheiten“, erzählt die dreifache Mutter.

Text und Photos: Heike Blenk

 


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