Hexen mit Abstand

Theaterunterricht im Lockdown

Ich stehe auf der Bühne. Alles ist stockdunkel. Hinter mir befinden sich zwei Hexen. Eine steht rechts 1,5m hinter mir, eine steht links 1,5m hinter mir. Das Spotlight geht an, man sieht uns drei mystische Wesen. Wir tragen schwarze Schuhe, dunkle Röcke, zerrissene Blusen und zerzauste Haare. Und in unserem Gesicht- eine schneeweiße medizinische FFP2-Maske.

Ja, ich gebe zu, dass wirkt weder zeitgemäß noch wirklich furchteinflößend. Wer hätte schon zu Shakespeares Lebzeiten daran gedacht, einen Sicherheitsabstand zu halten oder eine Maske zu tragen? Die Antwort lautet: Keiner. Auch wir hätten nie gedacht, dass wir unsere Kostümideen derart schwächen müssten. Oder, dass wir das Händeschütteln durch eine Berührung mit dem Ellenbogen ersetzen würden. Oder, dass der Gang zum Supermarkt der Höhepunkt unseres Tages würde. Doch so überraschte uns die Corona-Pandemie genau so sehr, wie den Rest der Bevölkerung.

Wir- das ist der DSP-Kurs „Macbeth“ unter Leitung von Frau Blenk. Bereits im Frühjahr 2020 entschieden wir uns dazu die Tragödie „Macbeth“ des englischen Dramatikers William Shakespeare als unsere Produktion anzustreben.

Gelernt, wie man richtig schauspielert, hatten wir bereits im Jahr davor. Wöchentlich trafen wir uns, um die Wirkung von Mimik und Gestik zu analysieren, die Bühne besser kennenzulernen, um zu erfahren welchen Einfluss gewisse Körperhaltungen auf unsere Präsenz haben und wie man im Team erfolgreich zusammenarbeitet, während man Spaß hat. Alles in allem waren wir bestens vorbereitet, um in eine vielversprechende Produktion zu starten.

Macbeth von William Shakespeare sollte es werden, das hatten wir beschlossen, nachdem wir die Verfilmung von 2015 mit Michael Fassbender gesehen hatten. Das Stück, geprägt von Tötungen, Macht, Hexen, Geistern und Wahnsinn zeigt, wie Ehrgeiz und Machtgier einen verändern können. Der Protagonist Macbeth wandelt sich von einem treuen und wohlwollenden Feldherren zu einem skrupellosen König. Auch heute noch ordnen Menschen ehrgeizigen Zielen alles andere unter, da sahen wir eine aktuelle Verbindung.

Doch dann kam Corona – und wir mussten uns mit den Details der Handlung zunächst im Homeschooling vertraut machen. Der Feldherr Macbeth sowie sein Freund Banquo erhalten nach einer gewonnenen Schlacht eine Prophezeiung von drei Hexen. Die erste Hexe begrüßt Macbeth zunächst mit seinem korrekten Titel „Thane of Glamis“. Die zweite Hexe begrüßt ihn als „Thane of Cawdor“, was Macbeth nicht ist, und die letzte als „König von Schottland“. Dieser Titel jedoch gebührt derzeit dem König Duncan, einem Vertrauten Macbeths. Auch Banquo erhält eine Prophezeiung- er soll Vater von Königen werden. Kurz darauf sucht ein Bote Macbeth auf, der ihm verkündet, sich durch die gewonnene Schlacht von nun an „Thane of Cawdor“ nennen zu dürfen. In seiner Begeisterung über das Erscheinen der Hexen und das Inkrafttreten der ersten Prophezeiung schreibt Macbeth seiner Frau. Die gierige Gemahlin spürt, dass sie durch die Prophezeiung die Möglichkeit hat, an mehr Macht zu kommen. So überredet sie den noch unsicheren Macbeth, den König Duncan bei dessen Besuch auf dem Schloss zu töten, um den Titel „König von Schottland“ zu erhalten. Dies ist der erste Mord von vielen.

Im Sommer 2020 wollten wir dann endlich richtig auf der Bühne starten - und konnten dies auch erst einmal tun. Unsere Unterrichtsstunden verliefen zwar etwas anders, als vor der Pandemie, doch davon ließen wir uns nicht unterkriegen. Wir gingen raus an die frische Luft, um unsere Aufwärmübungen zu machen, trugen Masken, hielten vor der Bühne Abstand, verzichteten aber auch möglichst auf der Bühne auf Körperkontakt. Wir schrieben Szenen, spielten sie nach, verwarfen sie wieder, schrieben neue Szenen, waren die Hexen mit 1,5m Abstand oder Macbeth in einer Schlacht ohne Berührung. Die Introszene war bereits inklusive Ton und Text komplett fertig, wir kamen in Fahrt.

Bis zum zweiten Lockdown. Nachdem wir bereits so viele Hürden hatten überwinden und Umwege hatten gehen müssen, legte uns Corona einen weiteren großen Stein in den Weg. Die erneute Schulschließung kam.

Jetzt heißt es nicht nur Proben mit Abstand, sondern auch noch Proben online. Anstatt als kleine Grüppchen an Tischen im Forum, sprechen wir nun in Videokonferenzen oder über das Telefon miteinander. Ideen werden vorgestellt, ausgetauscht und festgehalten - für den Moment, in dem es heißt, dass Theater wieder stattfinden darf.

Wir freuen uns alle sehr auf diesen Moment! Sicherlich ziehen wir auch Vorteile aus dem digitalen Theaterunterricht. Wir lernen eigenständiger und verantwortungsvoller zu handeln und unsere Kreativität anzustrengen. Ob wir tatsächlich alle Ideen, die wir uns zuhause vor dem Computer ausdenken, durchsetzen und unseren angedachten Premieretermin im Juni 2021 erreichen können ist fraglich, aber nicht unmöglich. Um selbst einen Beitrag dazu zu leisten, dass wir möglichst bald, nicht nur den DSP-Unterricht, sondern auch unsere normalen Leben zurückhaben können, halten wir uns an alle geltenden Maßnahmen. Wir rücken mental weiter zusammen, während wir den physischen Abstand zwischen uns vergrößern. Gemeinsam arbeiten wir darauf hin, dass wir uns als Ensemble im Forum und nicht in einer Videokonferenz treffen können. Gemeinsam arbeiten wir darauf hin, dass wir nicht mehr die Hexen mit Abstand, sondern die Hexen ohne Abstand sind.

 

Kate Preece, Kurs Darstellendes Spiel Q1 Blk


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