„Ich war so oft so dreckig, dass ich mich am Ende selbst für Dreck hielt“

Zu Beginn hieß es Warten. Zunächst auf den Autor, dessen UBahn auf freier Strecke stehengeblieben war. Und dann darauf, dass der Autor auf der Bühne im Forum des Stormarner Emil von Behring-Gymnasiums sich seine Komfortzone eingerichtet hatte. Fragend sahen ihm Schüler*innen von Klasse 8 bis 11 dabei zu, wie er zunächst in großer Ruhe und sehr langsam das richtige Wasser auswählte und es sich auch ansonsten erst einmal bequem machte vorm Mikrofon. „Wenn Leistung von einem erwartet wird, muss man zunächst dafür sorgen, dass es einem gut geht“, erläuterte Dominik Bloh anschließend.

Noch vor Beginn der Lesung aus seinem Bestseller-Roman „Unter Palmen aus Stahl“ hatte er den Zuhörern den ersten Tipp gegeben. Und es sollten noch einige folgen, eingestreut zwischen verschiedenen Lese-Passagen.

Zunächst aber versuchte Dominik Bloh, sein Publikum kennenzulernen. „Wie alt seid ihr?“ Welche Berufswünsche habt ihr?“ „Was ist euch wichtig?“ Dem 33jährigen gelang der richtige Tonfall, die jungen Zuhörer*innen wirklich zu erreichen und zu interessieren.

Wobei seine im Roman niedergeschriebene Biographie per se auch eine ist, die aufhorchen lässt. Mit 16 verließ er nach quälenden familiären Schwierigkeiten seine alleinerziehende Mutter und lebte fortan 10 Jahre lang auf der Straße. „Ich bin „vom Platte machen“ zur Schule gegangen, weil es dort warm war und weil ich da noch jemand war, ein Schüler“, erzählte Dominik Bloh. Er machte sogar sein Abitur, obwohl er bereits auf der Straße lebte.

Ungläubig schaute das Publikum auf die Bühne. Hatte niemand bemerkt, dass er kein Zuhause mehr hatte? Der Autor erzählte und las von Freunden, die am Ende keine waren. Von Lehrern und Sozialpädagogen, die zum Stundenklingeln nach Hause wollten. Von Familien von besseren Freunden, bei denen er für ein paar Tage unterkommen konnte, die sich aber nicht nachhaltig seiner annahmen. Er erzählte vom Jugendheim, das neben dem Jugendknast lag. Er berichtete von Behörden, die sich nicht zuständig fühlten.

Die präzise formulierten Kapitel, die er vortrug, handelten von der Kälte der Nächte, der Einsamkeit und der Gewalt auf der Straße. Die Zuhörer erfuhren von der Scham der Obdachlosen. Bloh berichtete vom Hunger und von der Kälte der Nacht.  Den Schwierigkeiten, einfach nur zu Überleben.

Der Roman handelt aber auch von der Hoffnung und dem Glauben, dass sich die Dinge auch zum Besseren wenden können, wenn man ehrlich zu sich selbst und anderen ist und seinen Weg sucht. „Das ist das Wichtigste, dass ihr wisst, wer ihr seid, was ihr wirklich braucht und was ihr tun wollt – und dass ihr ans Gute glaubt“, sagte Bloh den Jugendlichen. Der junge Mann auf der Straße glaubte nach einigen authentischen Begegnungen mit hilfsbereiten Menschen wieder ans Gute - und wollte schreiben.

Dominik Bloh hat der Roman letztlich zu einer festen Wohnung und einem Einkommen verholfen. Dort lagert er allerdings, aus alter Gewohnheit, seine Lebensmittel immer noch draußen auf dem Balkon anstatt im jetzt vorhandenen Kühlschrank. „Die Straße wird man nie wieder los“, sagte er. Im Schlaf ziehe er sich auch immer noch eine Kapuze über den Kopf. Die war auf der Straße sein kleines Zuhause, zwei Wände, ein Dach und ein Fenster nach draußen.

Er hat auch nicht vergessen, was neben Nahrung und einem warmen Schlafplatz am meisten gefehlt hat: Hygiene. „Ich war so oft so dreckig, dass ich mich am Ende selbst für Dreck hielt!“ Und so hat er das Projekt Gobanyo ins Leben gerufen. Ein umgebauter Bus fährt durch Hamburg und bietet Obdachlosen in drei separaten Badezimmern Privatsphäre und die Möglichkeit, sich zu reinigen. Manchmal spendiert ein Friseur auch noch einen kostenlosen Haarschnitt. Bloh freute sich, dass einige Schüler*innen das Projekt bereits auf Instagram gefunden und geliked hatten.

Überhaupt war das Interesse die ganze Zeit über groß. Der Bestseller-Autor wirkte authentisch und verstand, wovon er redete. Eine Menge Fragen prasselten am Ende auf ihn ein. Ob er noch Kontakt habe zur Mutter? Nein. Was seine Pläne für die Zukunft seien? Eine gute Welt für sein Kind, das in einigen Monaten geboren wird, zu schaffen. Was jetzt seine Haupttätigkeiten seien? Autor sein. Ein zweiter Roman erscheint nächstes Jahr und er ist im gesamten deutschsprachigen Raum für Lesungen gebucht. Er hat jetzt sogar einen Agenten. Was berufliche Alternativen für ihn seien? Bauer mit nachhaltiger Landwirtschaft. Lehrer auch.

Auf seiner „Prio-Liste“ stehe zualleroberst: Klimaschutz! „Ich habe mich schon immer auch für große Autos interessiert“, gab er zu. „Aber ich habe da was verstanden. Ich werde mir in diesem Leben kein Auto kaufen!“ Nach dem Shoppen der Nike-Klamotten, die er auf der Bühne trug, habe er ein total ungutes Gefühl gehabt. In Zukunft solle es wieder mehr Second Hand sein. „Wir können alle etwas tun. Jetzt!“, rief er den Schüler*innen zu.

Soziale Gerechtigkeit ist ein weiteres seiner Anliegen – und das führte dann thematisch auch wieder zurück zu “Unter Palmen aus Stahl“. Dennoch – er hat weit mehr zu sagen, als in seinem ersten Buch steht. Vermutlich ist hier schon viel vom nächsten Roman zu erkennen – der dann „Die Straße im Kopf“ heißen soll.

Zurück blieben Schüler*innen, die im Speckgürtel von Hamburg zur Schule gehen - und die sichtbar nachdenklich geworden waren beim Blick in ganz andere Realitäten. Lesen bildet – und der direkte Kontakt mit dem Autor noch weit mehr.

Frau Heine und Frau Barkmeyer von der Gemeindebücherei Großhansdorf haben die Lesung im Rahmen der Kinder-   und Jugendbuchwochen möglich gemacht – und sind schon auf der Suche nach weiteren interessanten Begegnungen.

Text und Bilder: Heike Blenk

 

 


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