Job Shadowing an der „Oriveden Yhteiskoulu und Oriveden Lukio“ in Orivesi/ Finnland

Tag 1: Anreise

Da unser Flug nach Helsinki bereits um 8.30 Uhr in Hamburg losging, war frühes Aufstehen gefragt. Aber dadurch waren wir trotz der einstündigen Zeitverschiebung in Finnland schon so früh da, dass wir noch einen halben Tag Zeit in der finnischen Hauptstadt bei strahlendem Sonnenschein hatten, bevor wir uns abends auf den Weg ins Landesinnere machten.

Die Atmosphäre der lebendigen Stadt hat uns sehr gefallen, architektonisch findet sich im Umkreis des Jugendstil-Bahnhofs eine Mischung von sehr modernen und klassizistischen/ älteren Bauwerken, der Weg ans Meer ist kurz und dort haben wir auf der einstündigen Rundfahrt auf einem Linienschiff eine ganz andere Perspektive auf die Stadt und die vielen bewohnten / bebauten Inseln gewonnen.

Mit der Bahn ging es dann über Tampere, der größten Stadt Skandinaviens im Landesinneren, nach Orivesi, einer kleinen Stadt inmitten von Birkenwäldern und Seen, wo wir von unserer örtlichen Betreuerin, Jenni Deacndia und ihrem Mann, der lustigerweise aus Deutschland stammt, herzliche begrüßt und zu unserer Unterkunft gebracht wurden.

Tag 2

Wir hatten am Morgen eine sehr ausführliche Führung durch die Schule, in der Schüler*innen der Klassenstufen 7-13 unterrichtet werden. Sehr beeindruckt haben uns die sehr gut ausgestatten Werkräume für Holz- und Metallarbeiten sowie der Hauswirtschafts-Bereich. Alle Schüler*innen erwerben in den Klassen 7-9 Kenntnisse in praktischen Bereichen des Lebens wie Nähen, Kochen, Putzen und Handwerk, um es später auf dem Weg in die Selbständigkeit leichter zu haben. Vom ersten Eindruck her haben die Schüler*innen viel mehr Wahlmöglichkeiten bei den Unterrichtsfächern als es bei uns der Fall ist. Das Leitbild der Schule ist: „Wer sich wohlfühlt, lernt gut“. Das zeigt sich auch in der hellen, modernen Ausstattung, zu der auch eine „iWall“ gehört, vor der in Unterrichtspausen interaktive Bewegungsübungen gemacht werden können.

Ähnlich wie im EvB ist der Unterricht in Kabinetten organisiert, die Klassen scheinen aber insgesamt kleiner zu sein, ca. 20 Schüler*innen pro Klasse. Sehr beneidenswert fanden wir die nach Jahrgängen getrennten, großzügigen Aufenthaltsräume für die Schüler*innen und auch das schulische Gym. Auch der Musikraum ist sehr gut ausgestattet; da der Unterricht sehr praxisorientiert ist, gibt es einen Klassensatz Ukulelen und Gitarren und ein vollständiges Band-Setup. In der höheren Mittelstufe kann man als Wahlpflichtfach „Band“ wählen.

In den Klassenstufen 7-9 geben alle Schüler*innen am Anfang der Stunde ihre Smartphones ab und stecken diese in von der Schule gebaute Boxen. Ab Klasse 10 wird das nicht mehr gemacht, was wir in einer Philosophiestunde beobachten konnten, in der einige Schüler*innen zeitweise eher mit ihrem Gerät als mit dem Unterricht beschäftigt waren. Auch die Schul-Laptops, mit denen alle in der Klasse ausgestattet waren und auf denen sich die meisten Lehrwerke als Digital-Ausgabe befinden, wurden ähnlich wie die iPads bei uns auch nicht bei allen nur für dem Unterricht genutzt. Die Philosophiestunde war viel lehrerzentrierter und gelenkter als der Unterricht bei uns, die Lehrerin strukturierte alle Unterrichtsinhalte digital über ein Smartboard.  Es gab Stillarbeitsphasen, aber kein Unterrichtsgespräch, wie wir es kennen. Insgesamt war es auffallend ruhig in der Stunde.

Sehr schön ist, dass es durch das „Baltic Sea Projekt“ (BSP) und die Austauschbesuche im Februar und April bereits Kontakte zur Schule hier bestehen und wir daher auf bekannte Gesichter getroffen sind. Zudem stand heute im Rahmen des BSP eine internationale Videokonferenz zu „Cold Matters“ an, an der wir daher heute gemeinsam an einem Gerät mit der finnischen Kollegin teilnahmen.

Obwohl die finnische Sprache uns sehr kompliziert erscheint, haben wir schon einige Wörter gelernt, z.B. „Hyvää ruakahula“ (Guten Appetit!) oder „tehtäviä“ (Aufgaben) und „Hyvää päivää“ (Guten Tag). Wer mehr wissen möchte, kann uns gerne ansprechen (-;

Wir freuen uns auf den morgigen Tag! 

Tag 3

Heute begann der Tag mit einem Treffen in der Schule mit dem Schulleiter, einigen Schülerinnen und zwei Lehrkräften. Wir haben viel über die Schulorganisation hier und das finnische Schulsystem erfahren. Zum Beispiel werden die Lehrer*innen von der Stadt bezahlt und von der Schule bzw. dem Schulleiter eingestellt. Die Stundenzahl für eine volle Stelle hängt von den unterrichteten Fächern ab, korrekturintensivere Fächer bekommen eine Stundenentlastung. Ohne eine derartige Entlastung müssen bei einer vollen Stelle 24 Stunden unterrichtet werden.

Zudem berichtete der Schulleiter, Jari Hilden, dass es auch in Finnland nationalistische und fremdenfeindliche Tendenzen in der Politik und Gesellschaft gibt, was er deutlich ablehnt und in diesem Zusammenhang die vielen Kontakte seiner Schüler*innen und Lehrkräfte mit Schulen in anderen europäischen Ländern als eine Möglichkeit sieht, diesen Tendenzen erfolgreich entgegenzuwirken.

Dazu tragen die vielfältigen Erasmus- und UNESCO-Projekte der Schule bei, über die wir einen sehr umfangreichen Überblick erhalten haben; wir spürten deutlich die Begeisterung und das äußerst große Engagement der Koordinatorin für diesen Bereich, Jenni Decandia. Hierbei spielt auch das „Baltic Sea Project“ eine Rolle, an dem das EvB mit Schulen aus Polen, Estland, Lettland, Litauen, Finnland, Dänemark und Schweden teilnimmt.

Da Jenni in Vollzeit die Nachhaltigkeits- und UNESCO-Aktivitäten aller Schulen und Kindergärten in Orivesi sowie in der Region Tampere koordiniert und Teil des Teams für ganz Finnland ist, befindet sich ihr Büro im Rathaus - auch das durften wir heute besichtigen.

Unser sehr informativer und langer Schultag endete mit einer kurzen Bewegungs- und Entspannungs-Session vor der „iWall“, die in der Schule installiert ist und von den Schüler*innen während der Pausen oder auch für eine kleine Auszeit in der Unterrichtszeit genutzt werden kann; hier sind diverse interaktive Sport-Spiele verfügbar, bei denen man gegeneinander antritt. Nach vier Spielen stand es unentschieden, Frau Lentz knackte sogar bei einem Spiel den Schulrekord.

Morgen dürfen wir am Abschlusstreffen der UNESCO Youth Ambassadors aus ganz Finnland in Tampere teilnehmen, der nächstgelegenen größeren Stadt. Wir sind sehr gespannt und freuen uns auf diesen Tag!

Tag 4

Heute mussten wir bereits um 7.45 Uhr abfahrtbereit sein, da unsere Betreuerin, Jenni, uns zu dem von ihr organisierten Treffen der Youth Ambassadors aller finnischen UNESCO-Schulen mitgenommen hat. Schüler*innen und Lehrkräfte aus ganz Finnland von Helsinki bis Lappland waren vertreten. Es ging um einen Rückblick auf die Aktivitäten dieses Schuljahres und eine Ideensammlung für das kommende. Zudem sollten die vielen neuen Ambassadors verstehen, worum es bei ihrer neuen Aufgabe geht: nämlich andere Schüler*innen über UNESCO Aktivitäten zu informieren und dafür zu begeistern.

UNESCO Schulen zeichnen sich dadurch aus, dass sie in ihren Schulprofilen und Leitbildern wie auch im Schulalltag und der pädagogischen Arbeit die Ziele und Werte der UNESCO verankern, also die Menschenrechte für alle zu verwirklichen, Demokratieerziehung, Interkulturelles Lernen, Umwelterziehung, Globales Lernen sowie UNESCO-Welterbe-Erziehung. Viele dieser Aspekte werden bereits am EvB in das Schulleben integriert. Dank der tollen Übersetzungs-Tools auf dem Smartphone konnten wir dem finnischen Vortrag relativ problemlos folgen.

Es wurden viele verschiedene Workshops angeboten, bei denen es einerseits um die Weiterentwicklung des Youth Ambassadors Programms, andererseits um die Erprobung der „Action Track“-App ging, einer interaktiven Stadtführung, bei der an bestimmten Zielen in der Stadt Aufgaben erfüllt werden mussten, zum Teil zu den Inhalten des Youth Ambassadors Programms und auf der anderen Seite zur Stadt Tampere. Wir waren sehr beeindruckt, wie selbstverständlich die Teilnehmenden mit diesem Format umgingen. Die App werden wir mit Sicherheit auch bei uns am EvB ausprobieren.

Auch bei dieser Veranstaltung haben wir wieder Bekannte aus dem „UNESCO Baltic Sea Project“ getroffen und neue Kontakte geknüpft.

Tampere, gegründet 1779 und als „Manchester des Nordens“ bezeichnet, ist heute eine sehr lebendige und wachsende Metropole, bei der historische und moderne Architektur direkt nebeneinander steht und viele der in der Stadt angesiedelten ehemaligen Industriegebäude umgenutzt werden, z.B. Lokschuppen als Bars und Restaurants oder die große Baumwollfabrik „Finnlayson“ als Ort mit Büros, Geschäften, Restaurants, einem Kino sowie einem Museum. Die Zeit verging viel zu schnell, sodass wir leider nur einen kleinen Teil der Stadt erkunden konnten. Wir werden wiederkommen!

Morgen geht es wieder in die Schule und wir werden in unterschiedlichen Klassen hospitieren.

Tag 5

Heute waren wir nach dem Tag in Tampere gestern wieder in der Schule und haben in einer Englischstunde in der 11. Klasse hospitiert. Die Schüler*innen hatten unterschiedliche englischsprachige Bücher (die meisten in Papierform) gelesen, die sie sich zu Beginn gegenseitig vorstellen sollten. Kinder mit LRS hatten auch die Möglichkeit, zusätzlich zur gedruckten Ausgabe das Hörbuch zu hören.

Im Anschluss daran haben die Schüler*innen an Präsentationen zu Thema „Finnish Heritage“ für ein UNESCO-Projekt gearbeitet, die sie am Montag halten müssen. Die äußerst musikbegeisterte Schülerin Aliisa hat sich z.B. den berühmten Dirigenten Esa-Pekka Salonen ausgesucht und war schon sehr weit, sodass wir uns mit ihr ausführlich über den Englischunterricht und den Umgang mit digitalen Geräten in der Schule unterhalten haben. Sie bedauert, dass in der Schule kaum noch mit der Hand geschrieben wird, da überwiegend mit dem Laptop gearbeitet wird. Weil in der Grundschule nur noch Druckschrift beigebracht wird, hat sie sich selbst Schreibschrift beigebracht.

Die Englischlehrerin, Minaa, hat uns das digitale Lehrwerk vorgestellt, mit dem sie und die Klasse arbeiten. Alle Aufgaben und Tests sind in unterschiedlichen Modulen mit dem Lehrwerk verknüpft und werden größtenteils durch die Software korrigiert. Allerdings ist die Korrektur von längeren Texten trotzdem noch sehr aufwändig und wird nicht durch eine KI übernommen, bei Multiple-Choice bietet die Software aber eine sehr große Arbeitserleichterung für die Lehrkraft. Auch die (zentralen) Abschlussprüfungen werden am Rechner durchgeführt, dabei werden alle anderen Programme und das Internet blockiert.

Auffällig war, dass kaum im Plenum gesprochen wurde, sondern sich die Schüler*innen in Partnerarbeit oder Kleingruppen austauschten.

Im Gespräch über den Geographieunterricht in der Mittelstufe mit Marjo lernten wir die verschiedenen Unterrichtsinhalte und Bücher kennen. Im Großen und Ganzen entsprechen die Inhalte den unseren. Zudem stellte Marjo uns das „Green Flag Programme“ vor, das unserer Umweltbildung am EvB sehr ähnlich ist. Mülltrennung wird in Orivesi großgeschrieben: Eine tolle Anregung für uns waren die Papier- und Pappsammeltaschen, die in allen Klassenräumen hängen und regelmäßig von den Schüler*innen in den Papiercontainer ausgeleert werden.

Beim Mittagessen in der Mensa, das für die Schüler*innen in Finnland kostenfrei ist, haben wir uns mit dem stellvertretenden Schulleiter über die Lehrerbildung und finnische Schulsystem im Allgemeinen unterhalten. Interessant für uns war, dass in Finnland Lehrer*innen ein sehr hohes Ansehen genießen und es keine Nachwuchsprobleme zu geben scheint. Wer in entlegenere Landesteile, zum Beispiel nach Lappland, geht, erhält mehr Gehalt.

Beeindruckt hat uns, wie viele Lehrkräfte und Pädagog*innen sich um das Wohlergehen der Schülerschaft kümmern, wenn es Schwierigkeiten oder Probleme gibt. Bei ca. 450 Schüler*innen in den beiden Schulen (Klasse 7-9 und 10-13) gibt es drei Sozialarbeiter*innen, drei Lehrkräfte für „special needs“ und eine Schulpsychologin. Der Raum einer der Sozialarbeiter*innen ist gleichzeitig auch ein Aufenthaltsraum für die Schüler*innen und ermöglicht so spontane Gespräche.

Nach dem Lunch ergab sich für uns noch die Möglichkeit, eine der Grundschulen kennenzulernen, die in Finnland die Klassenstufen 1-6 umfassen. Auch hier arbeiten die Kinder ab Klasse 4 mit persönlichen, von der Schule zur Verfügung gestellten, Laptops. Beim Rundgang durch die Schule sahen wir überall Kinder, die in auffällig ruhiger Atmosphäre in irgendwelchen Nischen oder Ecken in Kleingruppen arbeiteten – offene Unterrichtsformen. Außerdem hat uns eine Kollegin über einen Austausch mit ihrer 6. Klasse nach Italien berichtet, einer tollen Möglichkeit, den Horizont zu erweitern und das Schulenglisch auszuprobieren. Vielleicht auch eine Möglichkeit für uns?

Morgen werden wir leider zum letzten Mal in der finnischen Schule sein, die Woche ist bisher wie im Flug vergangen.

Tag 6

Unser letzter Schultag begann für uns heute mit einer Stunde – diese sind an dieser Schule übrigens immer 75 Minuten lang – in einem Kurs für „kreatives Schreiben“ in Klasse 9. Die Schüler*innen haben wesentlich mehr Wahlmöglichkeiten bei den Fächern als wir in Schleswig-Holstein und dieser Kurs war eines der Angebote. Die 7 Mädchen – auch hier eine ungewöhnlich kleine Gruppe, in der Regel liegt die Klassenstärke bei 20 – hatten sich mit dem in Finnland sehr berühmten Versepos „Kalevala“ beschäftigt, das eine Sammlung mündlich überlieferter mythologischer Texte und Heldensagen ist. Teile des Werkes hatten sie mit KI-generierten Bildern und eigenen Texten umgesetzt, die sie uns präsentierten und auf Englisch erklärten. 

Da es in Finnland bereits in 2 Wochen in die 2 ½ Monate langen Sommerferien geht, hat die Lehrerin im zweiten Teil der Stunde ca. 10 Minuten mit jeder Schülerin über die Halbjahresergebnisse und ihre Bewertung gesprochen, was hier üblich zu sein scheint. Wir konnten uns in dieser Zeit mit den anderen über ihren (Schulalltag-) und ihre Pläne nach der 9. Klasse unterhalten, was sehr interessant war. Einige gehen nach diesem Schuljahr an Berufsschulen, andere wechseln in die benachbarte „upper secondary school“ (Klassen 10-13) und ein Mädchen wechselt in eine Schule mit einem besonderen Kunstprofil in der nahegelegenen größeren Stadt Tampere. Eine Schülerin erzählte, dass sie jeden Tag pro Weg 35 km zur Schule hat und morgens mit einer Art Sammeltaxi zur 13km entfernten Bushaltestelle gebracht werden muss. 

Insgesamt ähneln sich nach unserem Eindruck die Schüler*innen in Finnland und bei uns, auch was den Kleidungsstil angeht. Basecaps gehören stärker als bei uns zur „Grundausstattung“ bei den Jungen in der Mittelstufe, bei den Mädchen waren es manchmalauffällig bunt gefärbte Haare. 

Für uns war diese Woche in Finnland eine sehr bereichernde Erfahrung, wir haben uns sehr intensiv mit vielen verschiedenen Menschen ausgetauscht und werden vieles davon mit nach Hause nehmen. Ein großer Dank geht an dieser Stelle an Frau Digon-Lopez, die das Job Shadowing-Programm am EvB betreut und auch an Jenni Decandia, die uns hier vor Ort überaus herzlich umsorgt hat!  

Kathrin Lentz und Jörg Schraplau

 

Weitere Reisetagebücher von Kolleginnen und Kollegen aus diesem und dem letzten Schuljahr finden sich hier:

Norwegen, Mai 2025 - Frau Fritzsche und Frau Koch

Spanien, März 25 - Herr Meyer-Diekena

Schweden, März 25 - Frau Blenk und Frau Digon

Finnland, Mai 24 - Frau Böhrk, Frau Höckendorff und Frau Krummrey

Finnland, März 24 - Frau Iven und Frau Janssen

Finnland, Februar 24 - Frau Bürger und Herr Krönert

Finnland, Januar 24 - Frau Roosen und Frau Schoeneich

     


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