16.02.2024: The Last Dance
Finnlands größte Stärke (unsere Meinung): Kostenfreie Eisflächen mit super Eisqualität in jedem Viertel, kostenlose Handarbeits- und Werkstattplätze mit Unterstützung in der Bibliothek, viele intensiv genutzte gemütliche Sitzecken in öffentlichen Gebäuden, gut ausgestattete Working Spaces, überall kostenfreie Toiletten… Finnland ist ein Meister darin, kostenlos öffentliche und dabei super ausgestattete Räume bereitzustellen. In unseren Augen ein Herausstellungsmerkmal, das Finnland auszeichnet und einen entsprechenden Effekt auf die Bildung und die Gestaltung von Lernräumen hat. Denn was für den Anspruch des öffentlichen Raums in der Stadt gilt, das setzt Finnland auch in den Schulen um: moderne Schulmöbel, helle Räume, Tischtennisplatten, Billardtische, gemütliche Sitzecken, kostenloses Schulessen (Richtigstellung: allerdings doch nicht umsonst für die Lehrkräfte, Mittagessen ohne Auswahl für 6€), öffentlich zugängliches Spielequipment (u.a. eine Wii-Spielfläche, eine Konsole im Aufenthaltsraum, Brettspiele), Sportgeräte und und und… Finnland investiert in Bildung und in das Wohlbefinden der Bevölkerung. Egal, ob in der Schule oder in der Stadt, es scheint zu funktionieren: Die Räume sind in Stand und scheinen ordentlich behandelt zu werden. Dass die Steuern entsprechend höher sind wird wohl (nach einigen Aussagen) selbstverständlich in Kauf genommen - denn die Finnen wissen (und sehen in ihrem Alltag), wofür das Geld investiert wird. Und wie wir zu Beginn angedacht haben: So ein Investment und eine derartige Ausstattung schafft sicherlich eine positive Atmosphäre und damit auch eine notwendige Voraussetzungen für gelingende Bildung.
Die Rahmenbedingungen in Finnland: Finnlands Schulssystem ist, wie bereits vorher beschrieben, anders organisiert. In Bezug auf die Rahmenbedingungen der Lehrkräfte sehen wir ebenfalls klare Unterschiede: Die Lehrkräfte arbeiten hier bei einer vollen Stelle 16 45-Minuten-Stunden (Muttersprachunterricht) bis maximal etwa 20. In der Secundary School gibt es nur drei verschiedene Jahrgänge, für die die Lehrkräfte ihre siebenwöchigen Kurse entwickeln. Insgesamt fällt uns auf, dass hier eine viel größere Ruhe und Entschleunigung besteht. Die Pausen werden tatsächlich für Pausen genutzt. Das Sekretariat wird kaum besucht; in der ganzen Woche wurde kein einziges Mal an die Tür des Lehrerzimmers geklopft. Nach unserem ersten Eindruck scheint insgesamt die Nettounterrichtszeit höher zu sein, weil hier der Unterricht an erster Stelle steht und weniger Unterricht ausfällt für außerordentliche Extras. Außerdem: Immer wieder wird betont, die Lehrkräfte hätten eine große Freiheit, die Politik vertraue ihren gut ausgebildeten Leuten und ließe ihnen dabei seit jeher sehr freies Spiel, die die Lehrkräfte hier nicht missen möchten.
Letzte Hospitationen: Heute lag unser Schwerpunkt auf den Naturwissenschaften: Biologie, Mathematik, Chemie, Physik. Auch hier sehen wir eine starke Lehrerzentrierung und frontalen Input; in Chemie werden jede Woche Experimente vor der Theorie durchgeführt. Im Anschluss an den Input erfolgt die Anwendung. Heute konnten wir ausnahmsweise eine Lehrkraft sehen, die während des Inputs nur Schreibhefte zulässt. Erst in der Erarbeitung wird hier die Technik einbezogen. Auf Nachfrage ist der Fokus hier der entscheidende Grund für diese Entscheidung.
Ein kleines Fazit: Insgesamt sehen wir hier deutlich bessere Rahmenbedingungen und auch eine reizvolle Organisation der Oberstufe, allerdings erstaunt uns die sehr eindimensionale (frontale und monotone) didaktische Aufbereitung der Inhalte, die wir so nicht erwartet hätten. Abschließend konnten wir aus dieser Woche zahlreiche Eindrücke mitnehmen, die anregen, die eigene Unterrichtsgestaltung zu reflektieren und auch grundlegende Ansätze von gelungener Bildung zu diskutieren. Diese Form der Einnahme einer Außenperspektive ist unserer Meinung immer gewinnbringend. Wir sind gespannt, was die anderen Kolleg:innen für Erfahrungen machen und welche Eindrücke sie mitbringen (und welche Erfahrungen wir beide im nächsten Jahr bei Erasmus+ in Portugal und Irland machen werden ;-)).
15.02.2024: lisätietoja kiitos
Schon sind wir den vierten Tag an unserer Schule: Dirk hat inzwischen seine Hauspuschen im Lehrerzimmer untergebracht, die zu Beginn des Schultages überstreift werden, so wie alle anderen Kollegen es auch tun. Heute sehen wir weitere Fächer und Lehrkräfte in Aktion: Finnisch, Geographie, Berufsorientierung. Auch hier bestätigt sich größtenteils unser erster Eindruck: Der Unterricht findet sehr frontal statt und lehrerzentriert. Was ebenfalls ein großer Unterschied zu unserem System ist: Die Note, die die Schülerinnen und Schüler für den Kurs im Zeugnis erhalten, ergibt sich fast vollständig (mit kleinen Ausnahmen in einzelnen Fächern) aus der schriftlichen Leistung am Ende des jeweils siebenwöchigen Kurses. Somit steht die schriftliche Prüfung und somit die abgeprüfte Sachkompetenz am Ende im Vordergrund. Ob Kompetenzen hier überhaupt in gleicher Weise eine Rolle spielen, müssen wir noch herausfinden.
Was ebenfalls anders ist: Das Einfordern von Disziplin oder strikten Regeln, wie einige Lehrkräfte betonen, spielt hier kaum eine Rolle. Im Zusammenleben scheint dies gut zu funktionieren. Hier ist sicher auch die finnische Mentalität ein wesentlicher Faktor. In Bezug auf die aktive Mitarbeit, liegt hier die Verantwortung bei den Schülerinnen und Schülern, denn hauptsächlich das Endergebnis zählt für die Note. Dabei beobachten wir, dass die Smartphones in einigen Stunden vor allem aber in den Pausen sehr präsent sind. Auf Nachfrage wird klar, auch das ist hier ein Diskussionspunkt und leidiges Thema, Verbote oder strenge Regeln gibt es bisher nicht. Einige Lehrkräfte betonen allerdings, dass die Konzentration und der Fokus schwächer geworden seien. Im Zuge der Veränderungen der digitalen Möglichkeiten und vor allem der sozialen Netzwerke hätten sich neben der Konzentration auch die Basiskompetenzen wie u.a. Lesen und Schreiben etc. verschlechtert. Gleichzeitig beobachten wir: In vielen Fächern, vor allem in den Gesellschaftswissenschaften, die wir besuchen, lesen die Lernenden keine Texte, sondern die Lehrkraft referiert zu Beginn der Kurse die zentralen Inhalte - wie gesagt, Universitätsfeeling. Apropos Basiskompetenz: Wir erfahren, seit zwanzig Jahren erlernen die Schülerinnen und Schüler in ganz Finnland keine Schreibschrift mehr; insgesamt wird in der Schule kaum mit der Hand geschrieben.
Was ist nun der Königsweg in Sachen Bildung? Wir sprechen mit Lehrkräften, die sagen, dass die Veränderungen in der Gesellschaft neue Herausforderungen schaffen, dass u.a. eine stärkere Balance zwischen analogem und digitalem in ihren Augen sinnvoll wäre. Die Digitalsierung könne als Teil des Lebens auf keinen Fall ausgeklammert werden. Dennoch überlegen einige Lehrkräfte im Gespräch, dass die Vermittlung von Basiskompetenzen durchaus andere Herangehensweisen als bisher benötigten und vor allem mehr Fokus. Das sei ein Thema im Kollegium. Lösungen gerade im Umgang mit der Ablenkung u.a. durch Social Media müssen auch hier noch gefunden werden.
Sidefact: Gestern haben wir die Schule von Renate und Bettina besucht. Unsere Schule ist technisch mit allem Notwendigen funktional ausgestattet; Laptops und Beamer werden durchgehend verwendet. Aber die Schulausstattung auf dem Nokia Campus hat uns wie unsere Kolleginnen aus den Socken gehauen: so viel Platz, dass ganze Stockwerke leer bzw. zur freien Verfügung stehen, zig voll ausgestattete Computerräume, Meetingräume, zahllose Sitzgruppen… Es sieht aus wie in einem modernen Unternehmen. Wir fragen uns: Wie sieht hier der Unterricht, das Lehren und Lernen aus? Ist der Unterricht hier ähnlich frontal? Die wenigen kurzen Einblicke durch die Glastüren erwecken beinahe den Eindruck. Wir sind gespannt auf den Austausch mit unseren Kolleginnen nach unserer Rückkehr und mehr Details zur Unterrichtspraxis.
14.02.2024: Dritter Schultag
Der Tag beginnt mit einem in deutschen Augen absoluten Verkehrschaos. Da können die Finnen nur müde schmunzeln, brachiale Maschinen räumen oberflächlich den Schnee von der Straße und dann wird auch trotz wie gewohnt spiegelglatten oder nun verschneiten Gehwegen Fahrrad gefahren. Schule fällt hier wegen des Wetters niemals aus. In letzter Zeit wurde das ein oder andere Mal bei Ausfall des öffentlichen Nahverkehrs maximal auf Online-Unterricht ausgewichen. Zusätzliche Herausforderung: Der finnische Wääsäälskii (Gewerkschaftsführer) brachte heute das öffentliche Vekehrsnetz zum Erliegen: statt einer heute zwei Stunden Schulweg, u.a. zu Fuß durch den verschneiten Winterwald.
In der Schule versuchen wir mehr und mehr hinter die Kulissen zu schauen. Neben den Hospitationen bieten vor allem die Gespräche mit den Lehrkräften nach dem Unterricht oder während des kostenfreien Mittagessens wichtige Einblicke. Hier zeigt sich, dass in vielen Bereichen ähnliche Themen und Probleme bestehen, diskutiert werden oder in Veränderung begriffen sind. Nach einem heutigen Gespräch fragen wir uns sogar: Sind wir 10 Jahre zu spät dran für die Hospitation? Denn auch in Finnland sinken in der letzten Zeit die Ergebnisse bei PISA. Wir treffen einen Lehrer, der seit 15 Jahren im Beruf ist. Was er als Problem sieht, ist, dass auch hier immer neu am Schulsystem „herumgedoktert“ wird. In seinen Augen wurde das System, als es schon funktioniert hat, durch Veränderung verschlimmbessert. Ihm zufolge würde auch die sehr freie Wahl heutzutage nicht mehr funktionieren. Die Leistungsschwächeren und die große Mitte würde man durch zu freie Ansätze nicht erreichen. Wichtiger wären mehr klare Struktur und mehr Instruktion. Die Schulleiterin der Primary School hingegen hält die Ergebnisse dieser Leistungstests nicht für zentral. Ihr ist es wichtiger, dass auch Kompetenzen darüber hinaus geschult, z.B. in Fächern wie „Wohlbefinden“. Mit anderen Lehrkräften sprechen wir über geringer werdende Konzentration, weniger Lernmotivation und durch Corona auch eine weniger persönliche Beziehung zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern. Es ist klar, dass das nur einzelne, individuelle Meinungen sind, aber klar wird bei den Gesprächen: Auch das finnische System bleibt nicht unhinterfragt und auch hier werden die gleichen Fragen diskutiert.
Was ist nun aber dennoch das Besondere, was in Finnland besser funktioniert? In unseren Augen scheint u.a. ein großer Anteil die Lernumgebung und die grundlegenden Rahmenbedingungen: solide technische Ausstattung, kleine Lerngruppengröße, die grundlegende Bildungsidee, mehr Ruhe und sicher gehört auch die finnische Kultur und Mentalität mit zum Bildungssystem dazu.
13.02.2024: Zweiter Schultag: Hospitieren, hospitieren, hospitieren…
Nachdem uns das zugrunde liegende System schon einmal überzeugt hat, wollen wir nun die Unterrichtspraxis kennenlernen: Geographie, Deutsch, Philosophie, Gesundheitslehre, Geschichte, Englisch. Möglichst viele verschiedene Eindrücke aus unterschiedlichen Fächern und von unterschiedlichen Lehrkräften sammeln. Ein Wermutstropfen für Dirk: Kein Sport in diesem Quartal - Skihiking fiel aufgrund mangelnder Anmeldezahlen aus. Immerhin konnten wir der Primaryschool beim Langlaufunterricht zuschauen.
Was uns auffällt: viel kleinere Lerngruppen; alle Schülerinnen und Schüler haben den gleichen, von der Schule gestellten Laptop; die Schule stellt auch die Software (inklusive Schulbücher mit integrierten Aufgaben) zur Verfügung; viele Lehrkräfte arbeiten mit „Classroom“ und können so die Screens sowie alles in der Stunde Erarbeitete einsehen; auch die Aufgabenmodule in den digitalen Lehrbüchern können von der Lehrkraft eingesehen werden. Praktische digitale Anwendungen für mehr Verbindlichkeit.
Was uns auch auffällt: Der Unterricht ist oftmals sehr frontal, hat teilweise starken Vorlesungscharakter und aktive Beteiligung findet nur sehr selten und eher in der Sicherungsphase statt. Wir sind überrascht, gerade vor dem Hintergrund, dass in unserem Schulsystem besonderer Wert u.a. auf induktive Ansätze, intrinsische Motivation und forschendes Lernen gelegt wird. An der Stelle kommt bei uns die Frage auf: Wie kommen so die allseits bekannten PISA-Ergebnisse zustande? Unser erster Gedanke: Möglicherweise verfolgen die Primary und die Secundary School unterschiedliche didaktische Ansätze. Möglicherweise orientiert sich die Secundary School ebenfalls eher Richtung universitärem Stil. Da wir an einem Schulzentrum hospitieren und im gleichen Gebäude Klassen der Primary School unterrichtet werden, können wir das in den nächsten Tagen vielleicht noch herausfinden. Fortsetzung folgt… Highlight des Tages: Typisch finnisches Fastengericht - Erbsensuppe. (Lecker! - siehe Photo)
12.02.24: Erster Schultag
In unseren Augen typisch finnischer Manier gab es zu Beginn unseres Tages eine Einführung vom Schulleiter: angenehm zurückhaltend, freundlich und mit einem Schelm im Nacken. Was in der Vorstellung der Schule direkt positiv hervortrat: Die Struktur und Organisation erinnert eher an die Universität. Die Schülerinnen und Schüler wählen für fünf Perioden (à 7 Wochen) im Schuljahr jeweils ihre Kurse - einige vorgegeben, andere optional - und sammeln so ihre Creditpoints. Es gibt keine festen Klassen, eine Abneigung gegen frühes Aufstehen kann bei der Kurswahl berücksichtigt werden und wer aus diversen Gründen statt 3 Jahren, doch 3,5 oder aber nur 2 Jahre benötigt, dem wird dies durch die Kurswahl ermöglicht. Dass die Lehrkräfte ihr Kursangebot vorstellen und vor der Kurswahl bewerben, gehört somit dazu. Wenn die Belegzahlen für Deutsch im nächsten Schuljahr durch die Decke gehen, dann haben wir mit unserem spontanen Werbe-Auftritt bei der Kurspräsentation sicherlich keinen geringen Anteil daran. ;)
Lisa Bürger und Dirk Krönert
Die erste Folge von Job Shadowing in Helsinki finden Sie hier.