Montag, 10.3.2025
Die Koffer sind gepackt, die Unterlagen sortiert - und wider Erwarten läuft auf der Schiene auch alles rund. Nach einer ersten Zimtschnecke in Kopenhagen verzweifeln wir zwar am PayPal online Buchungssystem – aber ein ungemein freundlicher großgewachsener Däne verkauft uns die Karten nach Lund dann einfach old school per Hand. Hej Lund! Angekommen rollern wir unsere Koffer dann im romantischen Abendnebel durch fast menschenleere Sträßchen zum „Hotell Oskar“.
Dienstag,11.3. 2025
Der nächste Tag beginnt in der „Crêperiet“ um die Ecke stilecht mit Kalles Original Fischcreme; so gut gibt es die nicht bei IKEA. Dann lotst uns das Navi zur Polhemskolan. Sie ist schon von Weitem nicht zu übersehen – ein riesiger Rotklinker-Gebäudekomplex mit viel Platz für über 2000 Schüler*innen zwischen 15 und 19 Jahren. Es ist die größte Schule Schwedens. Am Eingang empfangen uns die schwedischen Kolleginnen Noelia Martel Quintana, die wie Celia Digón ursprünglich aus Spanien stammt und der Liebe wegen in den Norden kam – und Cecilia Bengtsson, waschechte Schwedin. „Välkommen till Sverige!“
Wir verstehen schnell, jeder Lehrer hat einen eigenen Arbeitsplatz, sitzt zusammen mit drei oder vier Fachkollegen in kleinen ruhigen Büros mit eigenem PC zum Vorbereiten, Korrigieren… Das Lehrerzimmer ist ausschließlich für die Kommunikation gedacht. „Hey“, hören wir, während wir erst einmal einen Kaffee trinken dürfen, und immer wieder schwedische Kollegen hereinkommen und neugierig herüberschauen. Und dann startet das Programm:
„Cilla eng6 9.40-11.50 sal 5161“: 26 16jährige mit schuleigenen Ipads fluten in den Raum. Die Lehrerin sagt, die anderen sechs seien auf einem mehrmonatigen Auslandsaufenthalt an anderen schwedischen Schulen - in Paris, Madrid oder London. Hier in Lund geht es um den Roman „Born a Crime“, Fehler in Schüler-Essays werden korrigiert und neue Vokabeln erarbeitet. Wir sind begeistert von der Disziplin im Klassenzimmer.
„Lunch i matsalen med Max“: Der Kollege lebte als Kind in Marburg und besitzt eine Wohnung in Berlin. Das Essen können die Lehrer in einem separierten ruhigen Zimmer zu sich nehmen; es ist qualitativ hochwertig. Lehrer*innen und Schüler*innen sortieren brav das gebrauchte Essbesteck in Waschwannen.
„Maria P. eng 612.50-14.20 sal 5283“: Auch hier ein sehr großer Kurs – es geht um William Shakespeare und sein längstes Werk, die Tragödie um den Dänenprinzen Hamlet. Wir entdecken, dass wir in Deutschland handlungsorientierter herangehen. Trotz des anspruchsvollen Stoffes und einer lehrerzentrierten Lehrweise auch hier Fokus und Konzentration.
„Kaffe med Kurator Malin + Skolsköterska Jenny 14.30“: Die beiden erzählen, dass physische und psychische Gesundheit an der Polhemskolan großgeschrieben wird . Es gebe zahlreiche Teams von Krankenschwestern, die auch impfen, und Sozialpädagogen, die sich um zwischenmenschliche Sorgen kümmern. Eng seien sie miteinander verwoben.
„Noelia visar skolan 15.00“: Dann ein ausgedehnter Gang treppauf und treppab durch das labyrinthische Schulgebäude. Die Sohlen rauchen. Es gibt viele Ecken zum Zurückziehen. Ein Kino. Eine riesige Aula. Etwas abgelegener einen ruhigen Bereich für eine Klasse mit Special Needs mit zwei Lehrerinnen jeweils im Unterricht. Besonders hat uns die großräumige, bestens bestückte Bibliothek beeindruckt. Sie hat sogar schon Preise bekommen.
Mittwoch, 12.3.2025
Der Tag startet gleich mit einem Highlight. Immer dienstags lädt die Schule alle Kolleg*innen zum Frühstück ein. Frukost heißt es hier. Der Tresen biegt sich und bietet alles, was das Herz begehrt; selbst Gesundes. Tomaten, Gurken, Äpfel. Wasa Knäckebrot, verschiedene Käse, Aufschnitt… Und heute als Krönung aus Deutschland Lübecker Marzipan, das wir als Dankeschön mitgebracht haben. Viel zum Genießen kommen wir dann aber nicht, weil sich nun rumgesprochen hat, wer wir sind, und an den verschiedenen Tischen Hände einladend winken. Viele können Deutsch und wollen gerne in einem kleinen Chat mal testen, wie eingerostet es ist.
„Cilla eng5 9:40-10:50 sal 5182“: In dieser Gruppe wird, wie auch in manchen gleichaltrigen Kursen in Deutschland, gerade „The Curious Incident of the Dog in the Night Time” gelesen - aber die Aufmerksamkeit ist etwas gestört. Es gibt endlich die begehrten blauen Fan- T-shirts für den Superbowl zwischen den Schulen zu kaufen und die ersten wollen sie unbedingt gleich überstreifen. Kaum ist Ruhe eingetreten, blinken Pusher in den Ipads auf – die Resultate der letzten Französisch Klausur werden online bekannt gegeben.
„Max tyska 11.00-11:55 sal 5176“: Das ist natürlich besonders spannend für uns – wie wird unsere Muttersprache hier unterrichtet. Es liegt zwar ein Lehrwerk auf den Tischen, aber die Stunde startet mit Aktuellem. Die Schüler*innen lauschen dem Lehrer in der Fremdsprache sehr diszipliniert. Es geht um die aktuellen Wahlen. Auf einem Audiofile hören wir Friedrich Merz sagen, es könnte nach der Wahl auch ein bisschen „Rambo Zambo“ sein, dann aber müsse gearbeitet werden. „Siezen tun mich die Schüler*innen nicht“, stellt Max klar. „Das machen wir im Schwedischen ja nicht – und würde dann merkwürdig ankommen.“
Auf “Lunch I matsalen 12.00 med Noelia” folgt “Åsa eng5 13.15-14:50 sal 5176”. Ein Videoclip erklärt rhetorische Stilmittel, die später in einer Rede von Emma Thompson wiedergefunden werden müssen. Laut vorspielen kann die Lehrerin den Text nicht. Die weißen Schiebewände sind dünn, der Kollege im Nachbarraum lässt einen Test schreiben und bittet ungeduldig zum wiederholten Male um Ruhe. Auch in dieser Stunde tauschen die Schüler*innen sich kaum miteinander aus. Es werden eher Ergebnisse abgefragt.
“Birgitta spa4 15:05-16.20 sal 5183”: Für ein nationales Examen haben die Schüler*innen in Gruppen die gesamte Stunde eine Liste von Fragen bearbeitet. Celia konnte beim Herumgehen wertvolle Tipps einwerfen. Immer wieder ergaben sich dann auch spontan neugierige neue Fragen nach Spanien und Deutschland und das Leben dort.
Für abends erhalten wir jede Menge Tipps: Museum. Ein ganz tolles Restaurant. Keramik… Erst mal müssen wir aber mal Ohren und Füße hochlegen – es sind doch viele Eindrücke auf einmal!
Donnerstag, 13.3. 2025
Dieser Tag beginnt für Celia mit „Noelia spa5 8:00-9.30 Uhr sal 1007“. In Gruppen soll über schwedische Bräuche gearbeitet werden. Viele kennen wir auch von zu Hause, aber es gibt noch „La noche de Walburga“ Ende April zum Frühlingsanfang oder „La Lucia“ am 13. Dezember, wo es Prozessionen mit Kerzenkränzen auf dem Kopf gibt. Im Anschluss sollen die Schüler*innen den Besuch aus Deutschland auf Spanisch beraten, zu welcher Zeit er am besten nach Schweden kommen soll. Es kommt richtig Wettkampfstimmung auf. Eine diplomatische Antwort wird nicht akzeptiert; also entscheidet sich der Besuch für eine der ihm unbekannten Feiern.
Dann nimmt sich Schulleiter Torbjörn Hanö Zeit für ein ausführliches Gespräch mit den deutschen Gästen. Wir entdecken viele Gemeinsamkeiten. Er möchte die Verantwortung der Schüler*innen für das Gelingen einer Stunde fördern und betont, dass auch „good relationships“ nötig seien. Er beklagt die Klassenstärke von 32, die eben diese guten Beziehungen fast unmöglich macht. „It´s all a problem of funding“, seufzt er. Es sind noch 12 Tage bis zu seiner Pensionierung und ihm ist anzumerken, dass er darüber auch froh ist.
Es folgt „Lunch i matsalen med Birgitta und Noelia“. Wieder sind wir von der Qualität des Kantinenessens in ruhiger Atmosphäre begeistert. Dann meint Noelia Quintana, dass wir auch etwas von der Umgebung kennenlernen müssten und zeigt uns das nahegelegene Lomma, aus dem viele Schüler*innen täglich anreisen. Ebenso die Küstenstadt Malmö, die mittlerweile alte Architektur und neuestes Design aufs Beste vereint.
Zurück in der Schule lernen wir die Stellvertretende Schulleiterin Nitsa Kiriakidou kennen, die erzählt, dass sie hofft, in Zukunft mehr Entlastung zeitlicher und monetärer Art für die Kolleg*innen zu erhalten, die sich um Austausche kümmern. Ansonsten würde dieses wichtige Lerntool nämlich irgendwann einschlafen, weil die Verantwortlichen keine Energie mehr hätten.
„Specialpedagog“ Vera Persson berichtet, dass sie mit Schüler*innen Lernpläne schreibe und manches Mal „pain in the ass“ sei, wenn sie Lehrkräften sage, was zu tun sei, damit Leistungen besser würden. Auch hier wird wieder klar, wie viele zusätzliche helfende Hände das Lehrpersonal an der Pohemskolan unterstützen. Alle sind miteinander vernetzt und sorgen so für ein Gelingen des Schullebens.
Beim Besuch der berühmten Bibliothek sind wir wirklich sehr beeindruckt. Hell und freundlich und bestens bestückt, so wird man zum Lesen animiert. Die Regale haben Rollen, damit man sie jederzeit für Lesezirkel verschieben kann. „Wir arbeiten immer eng mit den Fachlehrern zusammen“, sagt Bibliothekarin Ida. Sie und ihre Kolleginnen preisen ihre persönlichen Buchempfehlungen in einem Regal an – und die am öftesten ausgeliehenen Bücher werden ebenfalls ausgestellt. Überall sitzen Gruppen oder Einzelpersonen in komfortablen Kissennischen oder auch Lesesesseln.
Das abschließende Farewell Dinner ist eigentlich für zwei Stunden angesetzt, dauert dann aber doch weiter drei; es kommen mehr Kolleg*innen als geplant und die Stimmung ist sehr herzlich. Viel gibt es auszutauschen über Eindrücke, Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
Beim Beobachten der schwedischen Kolleginnen von außen haben wir noch mal einen ganz neuen, wertschätzenderen Blick auf unseren Beruf gewonnen und fühlen uns animiert und neu motiviert. Die geknüpften Verbindungen sollen aufrechterhalten werden. Wir wollen alle gemeinsam weitere deutsch-schwedische Projekte überlegen und anschieben.
Hejdo! Morgen geht es schon wieder zurück nach Deutschland.
Celia Digón López und Heike Blenk