„Ich bin dein Feed. Ich bin ein kleiner Chip. Ich bin seit deiner Geburt in deinem Gehirn eingepflanzt. Ich weiß deine Wünsche, bevor du sie kennst, und sende dir Werbung, Chats und Informationen. Ich bin dein bester Freund. Früher wurde ich in einem kleinen Kasten in der Hosentasche getragen“, erklärt eine Figur auf der Bühne und holt dabei ein Handy hervor. Ein Raunen geht durch das vollbesetzte Forum des Emil von Behring-Gymnasiums und einige Zuschauer greifen intuitiv nach ihren Mobiltelefonen in ihren Hosentaschen. Jedem ist sofort die Brisanz des Themas klar.
Dann treten sie auf, die Jugendlichen der Zukunft - Titus, Link, Marty, Gwendy, Loga und Calista. Alle in futuristisches Silber gekleidet, alle oberflächlich und unkritisch. „Uns interessiert nur Partymachen auf dem Mond“, erfährt man dann. „This is the future!“, tönt es drohend aus den Lautsprechern.
Aber dann gibt es da noch Violet, die wesentlich weniger oberflächlich ist. Die den Feed erst später im Leben eingesetzt bekam, weil sie eben doch ohne ihn immer im Nachteil war, bei der Informationsbeschaffung in der Schule zum Beispiel. Neugierig und ein bisschen verliebt in Titus begleitet sie die anderen auf eine Party auf dem Mond.
Die ausgelassene Feier wird gestört durch Gegner des Feeds. Sie hacken die Chips und die Jugendlichen finden sich „ausgeschaltet“ im Krankenhaus wieder. „Ich fühle mich so leer“, jammert Link. „Es ist so still, ich bekomme gar keine Nachrichten“, stellt Loga fest. Ein Bild an der Wand sagt ihnen gar nichts. „Sonst bekommt man doch alle Informationen gesendet; Maler, Entstehungsjahr, Thema – jetzt ist da nichts in meinem Kopf“, stellt Titus irritiert fest. Nur Violet hat individuelle Ideen und Assoziationen zum Motiv.
Dann werden die Feeds reaktiviert und für Titus und seine Freunde ist die Welt wieder in Ordnung. Violets Feed lässt sich nicht mehr vollständig herstellen – sie muss mit Fehlfunktionen ihres Körpers kämpfen. Schließlich führen sie zum Tod. Niemand steht ihr bei, weder die Ärzte noch die neuen Freunde. Die eilen ohne Empathie und Mitleid bereits zur nächsten Party.
In sechs Szenen hat der WPK 10 Science Fiction den Plot des Romans „Feed“ von M.T. Anderson verkürzt auf die Bühne gebracht. Fast 30 Schüler*innen, zusammengewürfelt aus den Klassen 10a-d, kämpften sich zunächst durch den nur in englischer Sprache vorliegenden Text, machten sich dann mit den Mitteln der Bühne vertraut – und schrieben treffende Szenen. Diese mussten dann zusammengefügt und geprobt werden. Für all das hatten sie insgesamt nur 9 Monate Zeit. Abzüglich der Ferien. Zwei Stunden pro Woche auf der Bühne mit Theaterlehrerin Frau Blenk, eine mit Frau Krummrey im Kunstraum, wo Kostüme und Plakate entworfen und eine Ausstellung vorbereitet wurden.
Einige Doppelstunden fielen aus, in anderen fehlten große Teile des Ensembles wegen anderer schulischer Veranstaltungen, lange sah man kleine eher unzusammenhängende Grüppchen arbeiten. „Lauter und deutlicher sprechen!“, war die am häufigsten gehörte Ermahnung. Lange sah es nicht so aus, als würde man das ehrgeizige Ziel erreichen und zum gesetzten Premierentermin wirklich eine Szenencollage fertig haben.
Aber viele wollten das nicht akzeptieren und zeigten ordentlich Biss und Ehrgeiz. Das steckte die noch Zögernden an. Und dann saßen sie plötzlich alle in einem Boot. Theatermagie! Die Techniker koordinierten den Ton und das Licht mit den Szenenaussagen und machten sie stärker und aussagekräftiger. Alles passte plötzlich und zur Premiere ließ die motivierte Truppe ein begeistertes – und entsetztes - Publikum zurück. „Das ist ja eine gruselige Zukunft“, schauderte es den 11jährigen Richard. „So ein zeitgemäßes wichtiges Thema“, freute sich eine Mutter. „Wie wird sich unsere Handysucht weiterentwickeln, darüber muss man wirklich nachdenken“, sagte ein Oberstufenschüler und fuhr sich nervös durchs Haar. „This is the future – wenn wir nicht aufpassen!“ Die Message auf der Bühne war deutlich und ist verstanden worden.
Am 21.6. um 8.30 Uhr und um 10.20 Uhr ist die Dystopie nochmals auf der EvB-Bühne zu sehen; gemeinsam mit „Romeo und Julia Reloaded“ vom Q1 Ensemble/Blk. Die Doppelvorstellungen sind öffentlich.
Text: Heike Blenk
Fotos: Sverre Dinter