Deutsch-Unterricht an anderem Ort

„Ich habe noch niemals gestohlen!“

.. ruft der 12jährige Branko Babic in Kurt Helds Roman „Die rote Zora und ihre Bande“ stolz. Kurz danach tut er es doch. Stehlen. Aus der Not heraus. Er hat Hunger und niemanden, der ihm zu etwas Essbarem verhilft. Genau aus dem selben Grund klauen auch die aus Albanien geflüchtete „Rote Zora“ und ihre Bande aus elternlosen Kindern. Sie gehören zu den ärmsten Menschen der kroatischen Hafenstadt Senj – und statt, dass die besser situierten Einwohner ihnen helfen, jagen sie sie.

Diese ursprünglich aus dem Jahr 1941 stammende, aber heute ebenso aktuelle, Geschichte, hat die Klasse 5a im Deutschunterricht gelesen. „Zora hat gelbe Augen, feuerrotes Haar und im ganzen Gesicht Sommersprossen“, hat Theodor sie in der Klassenarbeit beschrieben. „Obwohl sie arm ist, ist sie freundlich und teilt mit anderen“, hat eine Mitschülerin geschrieben.

Wie diese gesellschaftskritische Geschichte auf der Bühne des Thalia Theaters umgesetzt wird, sollte im Anschluss daran erfahren werden. Zusammen mit der 5b ging es nach Hamburg an die Binnenalster. „Die haben ja keine Kinder-Schauspieler, da müssen ja Erwachsene Zwölfjährige spielen – ob das wohl glaubwürdig ist?“, überlegte Lea schon in der U-Bahn.

Dass es das ist, befanden alle im Anschluss an die Vorstellung im direkten Gespräch mit der Schauspielerin Toini Ruhnke, die die Titelfigur verkörperte. „Man hat dir die Wut und den Mut sofort geglaubt“, lobte ein Fünftklässler anerkennend. Begeistert waren sie auch von Steffen Siegmund als Pavle. Der Schauspieler freute sich sichtlich über das Lob. „Du hast so lustig und wild gespielt“, fand Moritz. „Warum habt ihr denn den Teil mit dem Bäcker weggelassen?“, fragte kritisch Phil. „Da mussten wir kürzen; den kompletten Roman auf die Bühne zu bringen, würde zu lange dauern“, erläuterte Toini Ruhnke. „Was denkt ihr denn, wenn ihr mal den Text vergesst?“, wollte Max wissen. Kurzes Überlegen. Dann grinste Steffen Siegmund: „Mist! - Das denken wir dann.“ „Könnte ich ein Autogramm haben?“, fragte Melena, die sich für den Theaterbesuch extra schick gemacht hatte, schüchtern. Sie konnte und war selig.

Die Theaterpädagogin des Thalia Theaters, Anne Katrin Klinge, machte nicht nur diesen direkten Kontakt mit den Schauspielern möglich – es gab auch noch ein Blick hinter die Kulissen. Sie und ihr Kollege Herbert Enge ließen die Kinder zuschauen, wie das Bühnenbild abgebaut wurde. „Ist das hoch!“, wunderte sich Mika. Der tote Hund im Wasserbecken, den die „Rote Zora“ und ihre Bande dem bösen Bürgermeister heimlich untergejubelt hatten, war aus der Nähe zu bestaunen. Dass die Weintrauben vom Markt nur aus Plastik waren, konnten alle mal fühlen. „Das ist so spannend“, freute sich Melena. „Ich werde später auf jeden Fall Schauspielerin!“

Und so kehrte mindestens eine Schülerin mit einem konkreten Berufswunsch von diesem Ausflug zurück – aber auch alle anderen hatten eine sehr persönliche Verbindung mehr zum Theater geknüpft. „Das macht sie später zu interessierten und kritischen Theatergängern“, weiß Lehrerin Heike Blenk aus Erfahrung.

Wie die Umsetzung des Romanstoffes im Kinofilm gestaltet ist, wird in den kommenden Deutsch-Stunden untersucht werden – und wie mit dem angesprochenen Problem umzugehen ist, wird auch weiter diskutiert werden. „Die Kinder müssen unterstützt und nicht gejagt werden“, war schon ein erster Ansatz, der konkretisiert werden muss.

Text und Fotos: Heike Blenk


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